An einem Tag von Meißen nach Juba und zurück - Ein ungewöhnliches FoBiZ-Seminar mit Gästen aus Ostafrika

Prof. Dr. Thomas M. Schimmel, Dozent Allgemeine Verwaltung
© Prof. Dr. Thomas M. Schimmel

 

"Out of Africa - Versuch eines neuen Blicks auf unseren Nachbarkontinent“ war der Titel eines Seminars des Fortbildungszentrums im Frühjahr 2025, das den Teilnehmerinnen und Teilnehmern globale Zusammenhänge deutlich machen und neue Einsichten in Gesellschaften und Politiken des afrikanischen Kontinentes ermöglichen sollte. 

Das Seminar wurde geleitet von Prof. Dr. Thomas M. Schimmel. Als Referent war der Afrika-Experte und Ethnologe Dr. Volker Riehl aus Berlin gekommen, der im Rahmen seiner Forschung und als Mitarbeiter in der Entwicklungszusammenarbeit viele Jahre in den verschiedenen Regionen Afrikas verbracht hatte. Nach einem groben Überblick über die Situation in den verschiedenen Teilen Afrikas war vor allem der Sudan Thema des Seminars. Als Höhepunkt gab es eine Live-Schalte via Zoom zu Studierenden der Katholischen Universität von Südsudan.

Geschichtlicher Hintergrund und politische Verhältnisse

Der Sudan wurde als eines der ersten Länder Afrikas 1956 von Großbritannien unabhängig. Die postkoloniale Staatsplanung sah eigentlich die Zweiteilung des Sudan in einen größeren nördlichen (muslimischen) und in einen südlichen kleineren (christlich und traditionelle Religionen) unabhängigen Staat vor. Der Sudan wurde dann aber politisch zentralistisch regiert und religiös arabisch-muslimisch dominiert. Während der bald 70 nachkolonialen Jahre gab es zehn Jahre Frieden im Land, als das Land eine föderale, dezentrale Staatsstruktur hatte.

Der permanente Krieg wurde die Grundlage der Unterentwicklung und Armut des gesamten Landes.

Seit Ostern 2023 überziehen der Staatschef, der durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist und sein früherer Stellvertreter das Land mit einem Krieg brutalster Sorte. Das Land ist in militärische und extraktive Einflusszonen aufgeteilt, die die Zugänge zu Rohöl, Gold und Diamanten sicherstellen. Die beiden Machthaber und Kriegsherren sind US-Dollarmilliardäre, Zehntausende von Menschen wurden getötet – Hunderttausende sind auf der Flucht und kein Ende ist in Sicht.

Der Südsudan ist der favorisierte erste Anlaufpunkt für die Flüchtlingsströme vor den Kämpfen aus dem kriegszerstörten Sudan. Aber auch hier bekriegen sich derzeit, wie im Sudan, der amtierende Präsident und sein Vize. Seit Frühjahr 2025 befindet sich der Vizepräsident in Haft. Wie in einer schicksalhaften Blaupause ist auch im Südsudan das Land unter Militias aufgeteilt, die die „gegnerische“ Bevölkerung töten und die Dörfer zerstören, um sich auch, wie in Sudan, die Zugänge zu den mineralischen Ressourcen zu sichern. Russland, China und die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch alle Anrainer wie Äthiopien, Eritrea und Ägypten haben Ausbeutungsinteressen und unterstützen die Kriegsmaschinerie der jeweiligen Kriegsherren.

Südsudan, so groß wie Frankreich, mit 15 Millionen Einwohnern, fruchtbar, heiß, durchzogen vom Nil, reich an mineralischen und metallischen Ressourcen. Die Befreiungsbewegungen vor der Unabhängigkeit waren noch mehr oder minder geeint durch den gemeinsamen Unabhängigkeitskampf. Der Feind war im Norden: das islamistische Regime in Sudan. Zyniker behaupten, dass es nur einen kriegsfreien Tag im Südsudan gab und das war die Party nach dem fast 100 prozentigen Volksentscheid für die Unabhängigkeit. Fast überall im Land kämpfen politisch gesteuerte ethnische Milizen um die regionale Vorherrschaft. Die Stadtgrenze von Juba darf nicht überfahren werden, an Überlandfahrten gar nicht erst zu denken. Viel ist faul im Staate Südsudan.

Die Katholische Universität von Südsudan – gemeinsames Gespräch mit Studierenden aus Juba und Seminarteilnehmenden Meißen

Was gleich zu Anfang überrascht, ja schon im besten Sinne schockiert, ist die Normalität der akademischen Lehre, universitären Alltags und der Regelhaftigkeit und doch durchdringt bisweilen die brutale Härte von Krieg, Unsicherheit und schierer Not die scheinbare akademische Normalität. 

Durch den Klimawandel bedingt stieg in den letzten Jahren über Wochen die Temperatur auf um die 45 Grad. Dramatisch waren die Folgen dieser ungewöhnlichen Hitzeperioden für die Seminarteilnehmenden: Schwächeanfälle und sogar eine Frühgeburt waren die Folge. 

Die Dozierenden mussten für zwei Wochen die Seminare auf die frühen Morgen- und Abendstunden verlegen. Die Studierenden protestierten, weil eine relativ sichere überfallfreie Anfahrt und Rückkehr vom und zum Wohnort nicht mehr wahrscheinlich war. Und tatsächlich wurden einige Studierende in dieser Zeit ausgeraubt, eine Studentin erlitt einen Oberschenkeldurchschuss. Deswegen wurde das Zoom-Gespräch mit Meißen auch abgekürzt, um eine einigermaßen sichere Heimfahrt zu ermöglichen.

Doch bietet dieses Land gerade aufgrund der desaströsen Sicherheitslage unerwartet aussichtsreiche Jobmöglichkeiten. Die VN haben landesweit mehr als 10000 lokale Arbeitsplätze besetzt. Dazu kommen eine Vielzahl von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, auch Botschaften. Doch die Agenturen stehen vor einem Dilemma: Stellen sie südsudanesische ethnisch regierungsnahe Uniabsolventen ein, wird ihnen eine institutionelle Vertraulichkeit abgesprochen. Stammen die potentiellen neu rekrutierten Kommilitonen von oppositionellen Ethnien, versucht häufig der Staat Einfluss zu nehmen im Tenor von „Warum die und nicht einer von uns?“ und droht mit dem Büroschluss. Viele Hilfs- und Entwicklungsorganisationen entkommen diesem fatalen Dilemma nur durch die Anstellung von Afrikanern aus den Nachbarländern oder mit eigenen Fachkräften. Viele der Studierenden sind so gezwungen, sich unter Wert zu verkaufen, manche versuchen eigene Hilfswerke und NGOs zu gründen, aber die allerwenigsten suchen ihr professionelles Heil in der Flucht nach Europa oder den Vereinigten Staaten.

Gelehrt wird in Südsudan frontal. Jede Vorlesung wird vor der Veranstaltung im Course oder lecture Outline geteilt. Die lecture notes werden im besten Falle mit den Studierenden nach den Vorlesungen geteilt. Die am Ende des Semesters anstehenden Klausuren speisen sich aus den Inhalten der Vorlesungen. Volker Riehl hat einen Master an der London School of Economics gemacht und stellte bei seiner Lehre an der Universität in Juba fest, dass die Seminar- und Vorlesungsdidaktik, genau wie die Prüfungsanordnung am Ende des Semesters identisch mit der britischen oder besser englischen Vorgehensweise ist.

Riehl lehrte Development Management. Für dieses Fach gibt es nicht wirklich eine richtig gute deutsche Übersetzung. So streifen die Vorlesungen Themen wie: ‚Welche entwicklungstheoretischen Ansätze gab es im nach kolonialem Afrika‘ über ‚Warum sind einige afrikanische Staaten arm und andere reich‘ bis hin zu provokanten Fachbüchern: ‚Does Aid work?‘, ‚The benifits of famine‘ oder ‚Africa Works‘.

Eine didaktische Herausforderung war für Volker Riehl, die Studierenden von einem kooperativen und gemeinsamen Lernen zu überzeugen. Die Studierenden waren es gewohnt, ethnische Cluster zu bilden. Azande saßen mit Azande, Nuer mit Nuer, Dinka mit Dinka, Shilluk mit Shilluk, Bari mit Bari, Acholi mit Acholi. Der Vorlesungssaal war ein kleines Spiegelbild der ethnischen Landkarte Südsudans. Heftiger, wütend war der Protest auf seine Versuche, die Arbeitsgruppen nach Abzählen zu bestimmen, nach dem Motto: „Wie kann ich mit meinem Erzfeind zusammen eine Lerngruppe bilden?“. Am Ende klappte es doch, sogar so, dass die Teilnehmer an den Seminaren schon gespannt warteten, mit wem sie jetzt zusammen eine Arbeitsgruppe bilden konnten. Das entwicklungssoziologische Narrativ der „produktiven Fremdheit“ hat Riehl bei der Durchsetzung egalitärer Lehrdidaktik sehr geholfen. Möglicherweise wäre es einem südsudanesischen Kollegen nicht so einfach möglich gewesen, diesen Weg der Gruppenbildung durchzusetzen. Zu viele Hintergedanken der ethnischen Vorteilsnahme hätten dies wahrscheinlich verhindert.

Doppeltes, fatales Dilemma: Studierende der jetzt den Staat beherrschenden Ethnien lebten über Jahre hinweg in umkämpften Regionen des Südsudans, die einen geregelten Schulbesuch zur Ausnahme werden ließen. In den schon vor einem Vierteljahrhundert befreiten Gebieten war ein friedlicher Schulbesuch und die gesellschaftliche Verwurzelung einer schulisch gebildeten Jugend vorhanden – sie wurden mit Englisch und der Sprache ihrer Ethnie erwachsen. Die großen urbanen Zentren hingegen wie Juba, Wau, Torit usw. wurden bis zur Unabhängigkeit 2011 von der arabisch sprechenden Regierung von Sudan militärisch gehalten, während der Rest des Landes schon befreit war. Heute sprechen Studierende aus den südsudanesischen Städten besser ‚Juba-Arabic‘ als Englisch. Die Bildungssituation von Studierenden ist paradox.